Teil 31
Zur schweren Jacke noch der schwere Hut
Seit Tagen überlege ich, wie und ob ich diesen Blogbeitrag schreibe…
Gestern hab ich das mit meinen Kolleginnen aus der Selbsthilfe geteilt und sie haben mir Mut gemacht. Also los.
Warum mir dieser Beitrag so schwer fällt? Weil er tief sein wird, tiefer als die letzten. Vielleicht so tief wie noch kein anderer.
Meine schwere Jacke hat nämlich Besuch bekommen, vom schweren Hut.
Ich leg mal los und versuche euch mitzunehmen.
Meine schwere Jacke hat in diesen Tagen mehrere Taschen voll mit ollen stinkigen Resten, die krümeligen, ihr wisst schon. Seit das neue Jahr begonnen hat, mache ich Untersuchungen.

Ich lasse mir meine Brüste einquetschen, um zu sehen, ob meine Zysten doch mal was anderes werden und mich damit das Schicksal meiner Mutter einholt. Ich lege mich ins MRT um zu sehen, wie lang ich meine Wirbelsäulen Op noch schieben kann, ohne dass ich ne Narrenkappe verdient hab.
Und dann gehe ich in wenigen Wochen in meine nächste Nachsorge. Zum letzten Mal wird mir der Tumormarker abgenommen denn ich hab die 5 Jahre geschafft.
5 Jahre sind in Melanomhausen eine große Zahl. Wenn man 5 Jahre geschafft hat, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man den Rest noch als Sahne oben drauf kriegt. Eigentlich ein denkwürdiger Zeitpunkt, auf den ich lange hin gehofft hab. Ich könnte mich so richtig freuen.
Aber ich hab bloß Angst. Sie ist wieder da und ich weiß nicht, warum.
Katharina schrieb mir gestern, „die Angst müssen wir jeden Tag wieder besiegen lernen“.
So isses, welcome Stinkjacke, Febreze ist ausverkauft oder schon leer.
„ Nehmen sie mal nen kräftigen Zug, bevor sie denken, sie wären den Gestank los.“
Und dann ist da noch der schwere Hut.
Vor guten vier Jahre ,glaub ich, bekam ich eine Nachricht mit dem Titel „wir haben da mal eine Frage“.
Die Admins unserer Facebookgruppe fragten mich, ob ich mich engagieren möchte als Moderatorin der großen Gruppe.

Ich war baff, was ließ mich unter hunderten Mitgliedern raus stechen? Ich war tief berührt und wusste schnell, das ist meine Chance, was für andere zu tun. Jetzt konnte ich was zurück geben.
Ich ahnte, dass es nicht immer leicht sein würde, neue Hasen in ihrer ersten Angst abzuholen und Alte auf schweren Wegen zu begleiten.
Irgendwie gelang mir das aber ganz gut, schließlich waren wir als Adminteam auch im ständigen Austausch und damit quasi in der kollegialen Nachbereitung. Zudem waren die meisten Menschen in diesem großen Facebook mir zwar bekannt durch ihre Worte und ein Bild, aber ich hatte trotzdem Abstand. Wenn es mir zuviel wurde, nahm ich mir mehr Abstand. Ich fing an, diesen Blog zu schreiben und verarbeitete so meinen Weg.
Nebenbei nahm ich ein paar Menschen und ihre Herzen mit…
Seit einer Weile hat sich aber was verändert.
Durch unsere Treffen und Barcamps habe ich viele von euch persönlich getroffen und zu manchen hat sich ein Band geflochten, mal ist es fein und kaum zu sehen. Mal ist es so dick wie ein Tau eines Schiffes.
Ich liebe diese Verbindungen , sie haben mir Gespräche und Momente gebracht, die wie ein Schatz in meinem Inneren liegen. Sie helfen mir, mich mit der schweren Jacke nicht allein zu fühlen.
Sie machen aber auch alles an mir durchlässiger.
Während ich hier schreibe, kämpfen Menschen, die keine Fremden mehr für mich sind für ihr Leben.
Sie ertragen Schmerzen, Operationen und Therapien. Sie sind auf der Suche nach Chancen und erleben Rückschläge. Sie feiern Erfolge und versuchen nebenbei das ganz normale Leben zu balancieren.
Sie haben Kinder, so wie ich oder wünschten sich welche. Sie sind allein, mit Familien, Partner:innen oder Freund:innen.
Sie liegen in schlechten Zeiten auf dem Sofa mit Fellnase in der Kniekehle.

Und wenn unsere Krankheit stärker war als alle Chancen, gehen sie ihren letzten Weg.
Sie tun das bewusst, denn durch unsere Gemeinschaft wissen sie auch, was das bedeutet.
Sie haben sich im besten Fall vorbereitet, ihre Sachen geregelt, Wünsche benannt und Entscheidungen getroffen.
Für mich heißt Selbsthilfe und der Hut, den ich mir damals mit meinem „Ja“ aufgesetzt habe, mich nicht weg zu ducken. Ich lasse die Gruppe nicht geschlossen oder das Handy aus. Denn das geht nicht. Ich hab den Hut genommen und ihn in den Schrank zu packen, weil er schwer wird, fühlt sich falsch an.
So ist das grade.
Die Jacke hängt auf meinen Schultern und der Hut drückt noch oben drauf.
Ich schreibe kurze Sätze unter Posts und hoffe, meine Worte sind die Richtigen.
Ich schreibe hier und hoffe wieder, meine Worte sind die Richtigen.
Mir wird klar, ich bin offenbar ein Mensch, der Hüte mag, sie anzieht und sie ohne große Ängste aufsetzt.
Ich jongliere mit ihnen, welcher ist grade am wichtigsten?
Der Mutter-Hut?
Der Kitaleitungshut?
Der Partnerin-Hut?
Der Freundin-Hut?
Der Selbsthilfe-Hut?
Vermutlich entscheide ich nicht immer richtig und manchmal denke ich, ein leicht esoterischer Psychoheini würde mir sicher erklären, dass mein Wirbelsäulenproblem im Nacken von all den Hüten kommt.
Vielleicht hätte er recht. Aber das bin ich und ich mache weiter.
Wer wäre ich, wenn ich mir ein Loch grabe, während die anderen oben sitzen bleiben…sitzen bleiben müssen?!
Zum Glück bin ich - wie immer- nicht allein.
Wir sind viele.
Kommt gut durch den Sturm, die Sonne ist immer da. Auch wenn wir sie manchmal nicht sehen können.
Eure Katrin
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